Der Codex Laureshamensis
Der sogenannte Lorscher Codex (lat. Codex Laureshamensis), der heute im Staatsarchiv Würzburg unter der Signatur „Mainzer Bücher verschiedenen Inhalts 72“ aufbewahrt wird, ist eines der für die mitteleuropäische Historiographie und Topographie wichtigsten Quellenwerke für die Zeit vom 8. Jahrhundert bis um 1100. Die Handschrift dokumentiert den Grundbesitz der bedeutenden Reichsabtei Lorsch zur Zeit ihrer Niederschrift, gegen Ende des 12. Jahrhunderts. Der Besitz erstreckte sich damals vom Gebiet der heutigen Niederlanden bis in das der Schweiz.
Die Bedeutung der Handschrift liegt u.a. darin, dass in den in ihr überlieferten, über 3.800 Urkundenabschriften (sog. Regesten) mehr als 1.000 Ortschaften hauptsächlich Süd- und Westdeutschlands erstmals erwähnt werden. Die Originalurkunden, die zumeist anlässlich einer Schenkung an oder eines Kaufs durch das Kloster erstellt wurden, haben sich in keinem Fall erhalten! Für die historische Topographie sowie die Orts- und Heimatgeschichte ist der Kodex somit ein einzigartiges Zeugnis mit kaum zu überschätzendem Quellenwert. Da die urkundlichen Erwähnungen datiert sind, können sie u.a. problemlos zur Festlegung der jeweiligen Ortsgründung herangezogen werden.
Die Handschrift wurde im Skriptorium des Klosters Lorsch geschrieben, darauf verweisen identische Schreiber, die auch in anderen, sicher der Lorscher Schreibstube zuweisbaren Manuskripten nachweisbar sind. Der Codex besteht aus 229 großformatigen Pergamentblättern (Blattmaße: 46 x 33,5 cm). An ihrer Herstellung waren insgesamt 16 Schreiber und Rubrikatoren sowie fünf Nachtragshände beteiligt, die den Text in zwei Spalten in einer sorgfältigen gotischen Minuskel niederschrieben. Bis auf eine rot-ausgesparte Rankeninitiale auf blauem Binnengrund, die den Textbeginn auf Bl. 1ra markiert, erscheint der Buchschmuck sehr zurückhaltend, figürlicher Schmuck fehlt fast völlig. Die Einträge sind durch rote Überschriften gegliedert, in denen der Rubrikator meist den Inhalt des Rechtsgeschäfts kurz zusammenfasst (bspw.: „Donatio Wolfonis“ = „Schenkung des Wolfo“). Als wichtigste Angabe, neben den beteiligten Personen und den enthaltenen Ortsnennungen, steht am Ende der meisten Regesten eine Datierung, die sich auf Amts- bzw. Regierungsjahre von Lorscher Äbten oder Deutschen Kaisern bezieht. Die Namen dieser zur Datierung herangezogenen Personen werden oft neben dem Text nochmals in roter Tinte wiederholt. Hierdurch können die Einträge relativ zügig nach zeitgleichen Vorgängen durchsucht werden.
Der erste Teil der Handschrift enthält eine Klosterchronik, die zwischen 1170 und 1175 niedergeschrieben wurde (Bl. 1ra–35vb „Chronicon Laureshamense“). In ihr sind die für die Klostergeschichte wichtigsten Ereignisse und Rechtsgeschäfte festgehalten.
In dem eigentlichen Kopialbuch (Bl. 36ra-229rb „Liber traditionum Laureshamensium“) sind die Urkunden in verkürzter Form in sogenannten Regesten chronologisch und nach Regionen (Gauen) geordnet aufgelistet. Schon bei diesen Einträgen kam es nicht selten zu Fehlern und falschen Zuweisungen, die die Identifizierung der Orte heute zum Teil sehr erschweren oder gar unmöglich machen.